“Die Versuchung” von Otto Malling (1848 – 1915)
aus “Christus” – 12 Stimmungsbilder für die Orgel op. 63
(daraus “Aus dem Leben Christi”, Buch 1, Alexandre Guilmant gewidmet)
Der dänische Komponist Otto Valdemar Malling (1848-1915) zählt zu den zahlreichen so gut wie vergessenen Komponisten der Romantik, der allerdings mit 60 Werken wahrscheinlich die meisten biblischen Sujets in der Musikgeschichte vertont hat. In Form von musikalischen Stimmungsbildern greift Malling biblische Geschichten auf und fügt sie zu Orgelzyklen zusammen. Besonders die dramatischen Ereignisse der Lebensgeschichte Jesu dienen ihm als Inspirationsquelle. In diesen Werken schafft er eine dichte und intensive programmatische Atmosphäre, die klanglich an die Charakterstücke der Romantik angelehnt sind, aber durchaus eine eigene Stilistik aufweisen, die in der Tradition der symphonischen Dichtung zu sehen ist.
In der „Versuchung Jesu“ (aus „Aus dem Leben Christi“ – Stimmungsbilder für die Orgel op. 63) eröffnet eine markante einstimmige Linie die Komposition und schafft einen ernsten, bedrohlichen Charakter, der sich in verminderten Akkorden staut und verdichtet. Dieser Abschnitt, der mit einem einzelnen, „einsamen“ Ton in hoher Lage schließt, kontrastiert mit einem lyrischen Mittelteil in Dur-Tonalität, der eine elegische, friedvolle Atmosphäre evoziert. Der drängende, bedrohliche Impetus kehrt wieder, der erlösende Abschluss behält aber das letzte Wort, bestätigt sich in einem letzten, überraschenden Akkord im vollen Klang der Orgel und findet danach einen still verklingenden, friedlichen Abschluss. Beide musikalischen Abschnitte können als Antagonisten im Sinne eines musikalischen Programms verstanden werden, indem sie die Versuchung durch den Teufel, die Erwiderung Jesu (mit Zitat des 91. Psalms: „Er hat seinen Engeln befohlen, dich zu behüten auf all deinen Wegen“), die erneute Versuchung und Erwiderung und den in sich ruhenden, aber mit dem forte-Akkord dennoch bestimmten und mächtigen, im übertragenen Sinn wirkmächtigen letzten Wort Jesu schließt.