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© Corrado Baratta / Shutterstock.com

Zwischen Resonanz und Radikalisierung wie ein Festakt zum Politikum wurde

Blog-Beitrag von Heike Meyer

Ein Drama in acht Akten über Erregung, Entgleisung und Haltung

Prolog: Bühne frei für ein westfälisches Jubiläum

Der Anlass war festlich, der Ort würdig: Zum Jubiläum „1250 Jahre Westfalen“ hatte der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) am 15. Mai 2025 zu einem Festakt in den Hohen Dom zu Paderborn geladen – zugleich Auftakt der Ausstellung „775 – Westfalen“ in der benachbarten Kaiserpfalz.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Ministerpräsident Hendrik Wüst und Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz waren unter den Gästen. Es war ein vom Landschaftsverband verantwortetes Programm in einem kirchlich zur Verfügung gestellten sakralen Raum – ein Zeichen guten Miteinanders zwischen Staat, Kirche und Region.

Erster Akt: Ein Auftritt außerhalb des Skripts: Kunst als Schockmoment

Der Festakt beginnt, mit Grußworten und Musik. Dann: der Auftritt des Ensembles bodytalk. Deren im Ablaufplan angekündigtes Programm war abgestimmt. Was kam, war nicht abgesprochen. Statt Tanz mit Saxophonbegleitung: halbnackte Körper, echte Hähnchen in Windeln – ein sakraler Raum wird Bühne für eine irritierende Provokation.
Die Gastgeber, Ehrengäste und Anwesenden – mindestens erstaunt, für einen Moment sprachlos.
Wie reagiert man professionell auf eine unvorhergesehene Störung? Man folgt dem Ablauf – ruhig, ohne Eklat, ohne Unterbrechung, ohne erkennbare Dramatisierung. Keine Zensur, sondern Contenance. Rückblickend war es vermutlich die souveränste Reaktion, die in den folgenden Tagen gezeigt wurde – gerade weil sie nicht Gleichgültigkeit bedeutete, sondern Raum ließ für eine spätere sachliche Klärung. Denn was im Moment ausgespart wurde, wurde im Anschluss besprochen – intern, offen, kritisch.

Zweiter Akt: Zwischen Irritation und Erklärung

Die öffentliche Resonanz lässt nicht lange auf sich warten.
Schon kurz nach der Veranstaltung melden sich klassische Medien – zunächst zurückhaltend, sachlich, dann zunehmend einordnend.
Es ist von Irritation die Rede, von Erstaunen über Form und Umfeld der Performance. Kommentatoren beschreiben das Geschehen als befremdlich – aber nicht skandalös.

Gleichzeitig werden die Rahmenbedingungen transparent gemacht:
Das Programm verantwortete der LWL, das Metropolitankapitel stellte als Hausherr den Raum zur Verfügung.
Die konkrete Ausgestaltung der Performance veränderte das Ensemble spontan – sie entspricht nicht dem angekündigten Ablauf.

Ein Kommunikationsfall – erklärbar, ein Fehlgriff – vielleicht, aber kein bewusster Affront.

Parallel dazu gehen beim Erzbistum und beim Metropolitankapitel zahlreiche direkte Rückmeldungen ein – vor allem von Gläubigen, die sich in ihrem religiösen Empfinden verletzt, irritiert oder überrumpelt fühlen.
Diese Stimmen klingen klar und deutlich. In Gesprächen, E-Mails, Anrufen und Leserbriefen melden sich Menschen, denen der Dom als geistlicher Ort am Herzen liegt.

Die Kritik ist differenziert: Es geht um die Entgrenzung der Darstellung, das Unverständnis gegenüber der Form – und das Gefühl einer Grenzüberschreitung im liturgischen Raum.

Vonseiten des Bistums und des Kapitels folgt umgehend eine Reaktion:
Es wird Bedauern ausgedrückt – dort, wo Menschen sich verletzt fühlen.
Die Rückmeldungen werden ernst genommen, mit Respekt gelesen – und nicht bagatellisiert.

Dritter Akt: Der digitale Flächenbrand

Während sich die persönliche Empörung geordnet und direkt äußert, bleiben die sozialen Netzwerke zunächst vergleichsweise ruhig.
Doch Tage später entlädt sich der Konflikt auch dort – verzögert, dann mit umso größerer Wucht.

Erste Beiträge auf Plattformen wie X, Facebook und Telegram greifen die Performance auf.
Die Diskussion ist oft laut, selten differenziert.
Was für viele Gläubige ein berechtigter Anlass zur Kritik ist, wird online zur Projektionsfläche.
Empörung über die Kunst mischt sich mit Häme, Unsachlichkeit, gezielter Provokation.

Die Verspätung der digitalen Reaktion steht im Kontrast zur schnellen Nachdenklichkeit derer, die sich direkt an die Kirche wenden.

Etwa zu diesem Zeitpunkt taucht eine Petition auf der Plattform CitizenGo auf – einer international aktiven Kampagnenplattform, die sich regelmäßig gegen gesellschaftsliberale Entwicklungen positioniert. Binnen Tagen sammelt die Petition rund 25.000 Unterschriften – auffällig viele aus dem Ausland, auffällig wenige direkt identifizierbar. Die Fakten? Selektiv gelesen oder ignoriert.

Die Viralität der Petition löst eine zweite Welle medialer Berichterstattung aus.

Vierter Akt: Von der Debatte zur Deutungsschlacht

Die Empörung weitet sich aus. Die Debatte radikalisiert sich rasch.
Was als Reaktion auf eine irritierende Performance beginnt, wird zur Grundsatzfrage – nicht mehr über Ästhetik, nicht mehr über persönliches Empfinden, sondern über Autorität, Deutungshoheit und kirchlichen Kurs.

Rechtspopulistische Akteure sowie Stimmen aus den Rändern katholischer Milieus greifen die Debatte auf – mit klarer Agenda. In Foren, auf Plattformen und in alternativen Medien machen Begriffe wie „Blasphemie“, „Kulturverfall“ oder „Systemversagen“ die Runde.

Im Fokus steht längst nicht mehr nur die Performance – sondern auch das Verhalten der Anwesenden. Ihre bloße Präsenz ohne erkennbare Reaktion wird im Nachhinein gedeutet: als Duldung oder gar Zustimmung. Die Urteile fallen scharf: Das Domkapitel habe versagt. Der Dom sei entweiht. Der Erzbischof müsse zurücktreten.

Das Geschehen wird nicht mehr kritisch eingeordnet – es wird zur Projektionsfläche einer koordinierten Kampagne.

Fünfter Akt: Moral als Waffe – wenn Ideologie zur Munition wird

Einige sehen sich als Verteidiger des Glaubens – agieren aber mit Mitteln, die kaum mit den Werten vereinbar sind, auf die sie sich berufen: Schmähkritik, Diffamierung, persönliche Angriffe.

Die Grenze zwischen glaubwürdiger Betroffenheit und kalkulierter Empörungsrhetorik verwischt. Rechtskonservative Milieus und rechtspopulistische Narrative kommen sich in diesen Tagen gefährlich nahe. Was ursprünglich als religiöse Kritik beginnt, wird zum politischen Kampfinstrument.

Sechster Akt: Eine Anzeige als Bühne – ein Fall ohne Fundament

Ein weiteres Mittel der Eskalation folgt: Eine Strafanzeige gegen den Erzbischof – eingereicht von einem Anwalt, der bereits durch öffentlich zugängliche einschlägige politische Stellungnahmen bekannt ist.
Die Anzeige wirkt juristisch wenig tragfähig – das möge die Staatsanwaltschaft bewerten.
Aber sie entfaltet Wirkung: kommunikativ.
Sie wird öffentlich gemacht – noch vor ihrer Einreichung.
Ein Symbol der Eskalation. Ein Versuch, durch behauptete Legitimität weiteren Druck zu erzeugen.

Siebter Akt: Der Erzbischof im Kreuzfeuer der Deutungen

Auffällig ist der Zeitpunkt: Nur wenige Tage vor der Zuspitzung der Debatte äußert sich Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz in einem Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger.
Er bezieht klar Stellung gegen rechtsextreme Haltungen und nationalistische Tendenzen:
„Nationalismus und rechtsextreme Haltungen sind mit dem Evangelium unvereinbar.“

Ob die anschließende Erregung gezielt darauf reagiert, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.
Doch Tonlage, Geschwindigkeit und Personalisierung der Angriffe deuten darauf hin, dass sich hier verschiedene Konfliktlinien überlagern.

Die Kritik an der Performance wird – bewusst oder unbewusst – zur Projektionsfläche für weiterreichende Auseinandersetzungen: über Autorität, kirchliche Ausrichtung, politische Haltung. In Teilen der Debatte ist zu beobachten, wie sich der Fokus zunehmend auf die Person des Bischofs verlegt – über seine Rolle bei der Veranstaltung hinaus, hinein in den Diskurs um gesellschaftspolitische Positionierung.

Nicht das Kunstereignis steht im Zentrum – sondern dessen Aufladung und Nutzbarmachung.
Die Debatte verschiebt sich. Ein kulturelles Ereignis wird zum symbolischen Stellvertreterkonflikt – mit Sprengkraft weit über den Anlass hinaus. Der Dom wird zur Bühne für politische Interessen. Instrumentalisiert wird nicht der Glaube selbst – sondern das Gefühl, er sei verletzt worden. Nicht durch offenen Widerspruch – sondern durch Zuspitzung in anonymen digitalen Räumen.

Was letztlich entgleist, ist nicht die Kunst – sondern ihre Wahrnehmung.
Ein Ereignis wird interpretiert, verstärkt, zugespitzt – und dabei in vieler Hinsicht entstellt.

Achter Akt: Echo, Ermüdung – und eine Pointe zur Primetime

Nationale und internationale Medien greifen das Thema weiter auf – aus unterschiedlichen Perspektiven. In den Lokalredaktionen zeigt sich ein neues Muster: Wiederholung. Neue Schlagzeilen, kaum neuer Gehalt.

Auch der Ton in den Kommentarspalten verändert sich – von Erregung zu Ermüdung.
Neben den lauten Stimmen werden zunehmend auch jene hörbar, die sagen: Es reicht.

Und schließlich: Zur Primetime tut sich eine neue Bühne auf – als Fiebertraum bei TV total.
Eine verletzende Kontroverse wird nun Teil des Unterhaltungsprogramms.

Epilog: Versuch einer Zwischenbilanz

Was ist eigentlich passiert?

Eine Taktlosigkeit brachte vieles aus dem Gleichgewicht – mit Folgen weit über das Ereignis hinaus. Drei Wochen nach dem Festakt lässt sich das Geschehen noch immer nicht abschließend fassen. Vieles lief parallel, überlagerte sich, wurde zugespitzt – und drehte sich weiter. Was dabei verloren ging: Würde, Vertrauen und Respekt.

Warum bislang so wenig gesagt wurde?

Nicht, weil es nichts zu sagen gäbe – sondern weil es klüger ist, sich nicht treiben zu lassen, wenn die Lage unübersichtlich ist. Wer auf laute Empörung mit Gegendonner reagiert, dreht den Kreislauf nur weiter. Die Alternative? Keine Antwort auf jede Zuspitzung – sondern Haltung. Maß. Klarheit.

Und wie geht es weiter – in einer Situation, die sich nicht einfach auflöst? Mit Lautstärke? Mit Gegendruck? Oder mit etwas anderem – etwas, das nicht auf Tempo setzt, sondern auf Besonnenheit? Die Richtung ist klar: Zurück zu einem Umgang, der Raum lässt. Nicht alles sofort bewerten. Nicht alles mitmachen, nur weil es laut wird.

Epilog zwei: Lässt sich so etwas künftig vermeiden?

Ein paar Gedanken – ganz persönlich.

Gehören Veranstaltungen in den sakralen Raum? Diese Frage wurde oft gestellt.
Ein Kulturempfang zum Ur-Westfalen – in einer urwestfälischen Kirche, in festlichem Rahmen: Was sollte dem grundsätzlich entgegenstehen? Schade wäre, wenn ein einzelner Eklat dazu führte, dass Offenheit künftig verhindert oder Türen vorschnell geschlossen würden. Und schade ist, wenn Offenheit ausgenutzt oder ins Gegenteil verkehrt wird.

Lässt sich so etwas also vermeiden?
Natürlich – indem man alles, was nicht klassisch kirchlich ist, von vornherein ausschließt.
Aber kann das der richtige Weg sein? Sollte das zur Haltung werden? Sicher: Man kann noch sorgfältiger planen, genauer prüfen, bewusster abwägen. Man kann die Besonderheit des sakralen Raums noch stärker ins Bewusstsein rücken. Und doch: Gegen spontane Eingriffe oder bewusste Abweichungen gibt es keinen absoluten Schutz. Vertrauen muss dennoch möglich bleiben.

Ab wann muss man eingreifen – während einer laufenden Veranstaltung?
Wenn Gefahr für Leib und Leben besteht, stellt sich diese Frage nicht.
Aber bei künstlerischer Provokation?
Viele erwarteten eine sichtbare Reaktion der Anwesenden.
Doch da war dieser Moment des Überrascht-Werdens – und die Rolle als Repräsentant.
Man wusste weder, wie einem geschah, noch was da genau geschah.
Und man hat auch das Recht, eine Situation und Wahrnehmung persönlich für sich einzuordnen.

Es ist nachvollziehbar, dass die Bilder der Performance verstört haben.
Aber wie wäre das Bild gewesen, hätte man die Künstlergruppe empört unterbrochen und entfernt? Wäre das dem Ort, dem Anlass, dem Amt, dem Miteinander gerechter geworden?
Hätte das zu mehr Würde geführt – oder zu weiterer Eskalation?

Braucht der Dom eine Neuweihe?
Auch diese Frage tauchte auf – teils aus dem Kreis der Priester. Aus Sicht unserer Verwaltungskanonisten: Nein.

Wut und Trauer sind nachvollziehbar, wenn ein Raum, in dem Sakramente gefeiert und Weihen gespendet werden, zur provokanten Bühne wird. Auch hier braucht es Ruhe, Abstand und eine Versachlichung. Den Festakt so zu unterlaufen, dass solche Gedanken überhaupt Raum greifen konnten, wirkt auch im Rückblick so unnötig.

Was darf Kunst – und was muss sie nicht?
Diese Frage zu bewerten, ist nicht Aufgabe der Kirche.
Kunstfreiheit ist ein hohes Gut.
Aber auch die Achtung vor der Religion ist ein hohes Gut.
Beides verdient Respekt – und muss nicht in Widerspruch stehen.

Was bleibt – und was sagt das über unsere Gegenwart aus?
Auch wenn sich die Aufregung mit der Zeit legt: Verletzungen sind entstanden.
Einerseits im religiösen Empfinden – durch die Erfahrung von Irritation.
Andererseits im gesellschaftlichen Umgang – durch Maximalforderungen, Diffamierung, Hassrede, politische Instrumentalisierung. Diese Wunden zu heilen – und sich dafür einzusetzen, dass bei aller Auseinandersetzung Würde, Anstand und Respekt gewahrt bleiben – das ist eine Aufgabe, die bleibt. Auch jenseits der Erregung.

 

Ihre

Heike Meyer

Leitung Kommunikation Erzbistum Paderborn

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