Die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentrum für angewandte Pastoralforschung (zap:bochum) haben vor kurzem die so genannte „Priesterstudie“ vorgestellt. Sie trägt den Titel „Wer wird Priester? Ergebnisse einer Studie zur Soziodemografie und Motivation der Priesterkandidaten in Deutschland“. Ziel der Studie war es, die sozial-religiöse Herkunft und Motivation neugeweihter Priester zu erforschen Die Wissenschaftler des zap:bochum haben alle 847 Priester angeschrieben, die zwischen 2010 und 2021 geweiht wurden. Insgesamt beteiligte sich eine repräsentative Stichprobe von 17,8 Prozent. Monsignore Dr. Michael Menke-Peitzmeyer leitet seit elf Jahren als Regens das Erzbischöfliche Priesterseminar in Paderborn. Im Interview mit Redaktionsleiter Dirk Lankowski ordnet er die Ergebnisse der Studie ein und spricht über aktuelle Entwicklungen in der Priesterausbildung.
Der Priester soll Brückenbauer in jede Richtung sein
An Pfingsten hat der Erzbischof drei Priester für das Erzbistum Paderborn geweiht. Was sind das für junge Männer, die da zu Priestern geweiht wurden?
Ich würde sie beschreiben als ernsthaft um ein eigenes spirituelles Profil bemüht und zugleich sehr bemüht darum, die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln, also menschliche Reifungsprozesse zuzulassen. Und sie stehen in engem Kontakt mit den Menschen im Gemeindealltag, den sie in den Praktika erlebt haben. Es handelt sich um profilierte junge Männer, die mit ihrer Berufung verantwortungsvoll umgehen und ihren Weg in der gegenwärtig schwierigen Gemengelage von Kirche und Gesellschaft finden.
Wie lassen sie sich mit Blick auf die „Priesterstudie“ einordnen?
Von den drei Neugeweihten sind zwei noch den klassischen Weg gegangen, den es laut Priesterstudie kaum noch gibt. Also zwei junge Männer, die direkt nach dem Abitur hier eingetreten sind, deren Weg ich also über acht Jahre begleitet habe. Und dann gibt es noch einen dritten, der nach dem Theologiestudium und der ersten Berufspraxis in einer Akademie bei uns angeklopft hat. Also Jahre später, als er für sich den Eindruck hatte: Ich bin jetzt bereit, meine Lebensentscheidung zu treffen und Priester zu werden. Das ist der Weg, der heute in der Studie als der hauptsächliche gesehen wird.
Ist es eigentlich einfach, Priester zu werden? Man hört ja so viel über die Priesterausbildung, kommt man da aufgrund der Mangelsituation einfach so durch?
Ich glaube nicht, dass man so einfach durchkommt. Aber ich kann da natürlich nur für das Erzbistum Paderborn sprechen. Unser früherer Erzbischof Becker hat immer gesagt, die falsche Reaktion auf den Priestermangel sei es, die Standards zu senken. Und mit dieser Devise sind wir im Erzbistum Paderborn gut gefahren. Von den 35 Priestern, die ich jetzt ausgebildet habe, hat in den letzten elf Jahren nur ein einziger seinen Dienst beendet.
Welche Hürden erwarten die Priesteramtskandidaten?
Die erste Hürde ist das Aufnahmeverfahren hier, und da sind eine Reihe von Voraussetzungen notwendig, an denen wir keine Abstriche machen. Da geht es nicht nur um eine gute Motivation und die intellektuellen Voraussetzungen für ein akademisches Studium, sondern auch um physische und psychische Gesundheit und ein Ja zur Kirche in ihrer jetzigen Gestalt. Und dann gibt es auf dem weiteren Weg verschiedene Zäsuren. Einmal das Studium mit dem Ziel, dass man theologisch kompetent ausgebildet wird und die Einübung in verschiedene Formen der Spiritualität. Ein weiterer Baustein ist für uns die Frage der Gemeinschaftsfähigkeit: Kann ich in so einer Gemeinschaft wie der des Priesterseminars, auch wenn sie klein ist, gut zurechtkommen und meinen Weg finden? Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Auseinandersetzung mit der Lebensform des Zölibats. Und ein zentraler Aspekt ist natürlich die Beschäftigung mit dem Priester-Werden angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen, was die Akzeptanz des Berufs in Gesellschaft und Kirche angeht.
Um welche Fragen geht es dabei?
Im Mittelpunkt steht meines Erachtens der Umgang mit der fortschreitenden Erosion des Glaubens, mit dem Rückgang des kirchlichen Lebens, markiert durch hohe Austrittszahlen, einen zunehmend kritischen Blick auf die Kirche, sehr viel Gleichgültigkeit gegenüber der Institution Kirche und der Gemeinde vor Ort, aber auch eine zunehmende Abnahme der Religiosität in unserer Gesellschaft, was die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung vor kurzem deutlich ans Licht gebracht hat. Es gibt immer mehr Menschen, für die Religion überhaupt kein Thema mehr ist. Die Gemengelage, in der junge Priester jetzt ausgebildet werden, ist also schon sehr komplex und herausfordernd. Und wenn junge Priesteramtskandidaten das alles an sich heranlassen, dann kann man schon sagen, dass es ihnen nicht leicht gemacht wird, ihr Berufsziel zu erreichen.
Sie befinden sich jetzt im elften Jahr als Regens und müssen sozusagen vor dem Erzbischof für diese jungen Männer die Hand ins Feuer legen, also bestätigen, dass sie geweiht werden können. Fällt Ihnen das leicht?
Im Laufe der Jahre und mit der gewachsenen Erfahrung mit der Fragilität von Lebensentwürfen ist es mir mitunter schwerer gefallen. Weniger im Blick auf die einzelnen Persönlichkeiten, sondern weil die Spannung zwischen dem, was die jungen Priester mitbringen und dem, was von ihnen erwartet wird, immer größer wird. Und ich ahne, dass die Zerreißproben für die künftigen Priester heftiger werden. Denn auf der einen Seite haben die Priesteramtskandidaten sicherlich ein gutes Profil, wie ich eben beschrieben habe, und damit eine hohe Qualifikation für den Beruf. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass man in der Ausbildungssituation noch nicht hundertprozentig klarsehen kann, was auf einen zukommt. Die Praxis ist immer noch anders, und der Praxisschock wird unweigerlich kommen. Da kann die Ausbildung noch so gut sein. Aber ich befürchte, dass dieser Praxisschock in Zukunft um ein Vielfaches härter ausfallen wird, als es zum Beispiel in meiner Generation oder noch vor zehn Jahren der Fall war. Die kirchliche Situation ist prekär, da braucht man nicht drum herumzureden.
Aufnahme in die Gemeinschaft
In diesem Jahr wurden drei junge Männer zu Priestern geweiht. Zum Zeichen der Aufnahme in die Gemeinschaft der Priester legen alle anwesenden Priester den drei Neupriestern die Hände. Hier die Ausbildungsverantwortlichen: Regens Dr. Michael Menke-Peitzmeyer, Subregens Matthias Klauke und Spiritual Christian Städter.
Welche zentralen Ergebnisse der „Priesterstudie“ sind für Sie in der Ausbildung interessant?
Wir als Ausbildungsverantwortliche haben über die Jahre hinweg unsere Wahrnehmungen, und die haben sich durch die Studie weitgehend bestätigt. Nehmen wir zum Beispiel die Frage nach der Herkunft der jungen Priester. Hier bestätigt sich, dass die Priesteramtskandidaten aus dem klassisch bürgerlichen Segment unserer Gesellschaft kommen, das immer kleiner wird. Und dann haben wir als zweiten Punkt das Amts- und Selbstverständnis der Priester. Darauf sollten wir ganz besonders achten. Und drittens gibt es bei den jungen Priestern und auch bei den Priesteramtskandidaten eine große Skepsis gegenüber Reformschritten in unserer Kirche, wie sie zum Beispiel beim Synodalen Weg zum Ausdruck kommen. Das heißt: Da klafft etwas auseinander – und zwar an einer sehr sensiblen Stelle. Als Ausbildungsleiter versuche ich im Blick auf die meines Erachtens notwendigen Reformprozesse zu vermitteln, also um Verständnis zu werben für den Bedarf vieler älterer Katholiken nach konkreten Schritten zu mehr Transparenz und Glaubwürdigkeit in unserer Kirche. Andererseits ist es auch ein „Zeichen der Zeit“ und damit ein Wink des Heiligen Geistes, wenn gerade die jungen Theologen eine Liberalisierung unserer Kirche nicht gerade herbeisehnen.
Warum ist Ihnen die Frage des Amtsverständnisses so wichtig?
Unsere jungen Priester verstehen sich in erster Linie als Seelsorger und Liturgen, als Wegbegleiter der Menschen und weniger als Führungskräfte oder gar als Manager, die den „Apparat Kirche“ am Laufen halten. Hier sehe ich eine große Herausforderung für unsere Kirche: Sie setzt ja theologisch und kirchenrechtlich darauf, dass der Priester maßgeblich Leitungsverantwortung übernimmt für die Gemeinde, für die Diözese und für andere Organisationsformen. Und wenn die jungen Priester und der Nachwuchs sich demgegenüber zunehmend verschließen, haben wir schon ein Problem.
Woran liegt das?
Ich glaube, dass unsere jungen Priester und auch die Seminaristen sehr deutlich wahrnehmen, wie wir älteren Priester mit Leitungsverantwortung, Gemeindeorganisation und Managementfunktionen beschäftigt sind und dabei zunehmend aufgerieben werden. Da wundert es mich nicht, dass sie für sich zum großen Teil sagen: Nein, das wollen wir nicht. Das ist nicht unsere Berufung, und das tut uns auf die Dauer nicht gut, wenn wir unseren Auftrag, das Evangelium zu verkünden, die Sakramente zu feiern, die Menschen seelsorglich zu begleiten, nicht mehr hinreichend erfüllen können, weil wir auf der Managementebene das bewältigen müssen, was viele leitende Pfarrer heute Tag für Tag leisten müssen.
Können Sie das nachvollziehen?
Ich kann das zu einem gewissen Teil nachvollziehen, wobei ich persönlich für ein Sowohl-als-auch plädiere, aber das ist eine immense Herausforderung, die nicht allen gelingt. Wenn man das theologische Verständnis des Priesters als Hirte des Gottesvolkes vor Ort ernst nimmt, ist diese Abwehrhaltung schwierig, denn geistlich und im Dienst der Verkündigung und der Sakramentsspendung unterwegs zu sein und auf der anderen Seite die Leitungsverantwortung in einer Gemeinde wahrzunehmen, das gehört für mich bei einem Weltpriester zusammen.
Wie gehen Sie in der Ausbildung damit um?
Indem wir die Wahrnehmungen, die ich eben geschildert habe, unseren Studenten spiegeln und versuchen, neben der Persönlichkeitsbildung und der geistlichen und theologischen Ausbildung auch Kompetenzen einzuüben, die für die Leitung der verschiedenen Organisationsformen von Kirche wichtig sind. Aber das geht nicht vom ersten Tag an. Die ersten fünf bis sechs Jahre der Ausbildung dienen zunächst einmal der Fundierung und haben einen ganz anderen Schwerpunkt, als eine praktische Ausbildung sie hätte. Da geht es um die vorrangige Frage der eigenen Berufung und damit um die Auseinandersetzung mit der Frage, ob der einzelne die Voraussetzungen mitbringt, Priester werden zu können und zu wollen. Insofern bin ich der Meinung, dass man eins nach dem anderen machen sollte, d. h. erst einmal eine menschliche, spirituelle und theologische Basis schaffen, auf der man dann schrittweise die Kompetenzen erwirbt, die für die konkrete Berufspraxis notwendig sind. Erfahrungen in anderen Diözesen haben gezeigt, dass etwa eine alternative „Ausbildung vor Ort im Pfarrhaus“ nicht nur Vorteile hat, gerade auch im Blick auf das Thema Gemeinschaftsleben, auf das wir uns hier im Seminar aus guten Gründen konzentrieren. Das ist ein Aspekt, der in der Debatte um den Praxisbezug der Ausbildung oft zu kurz kommt.
Warum ist das Thema Gemeinschaft so zentral?
Der Priester soll, gerade wenn er im Gemeindedienst steht, Menschen unterschiedlichster Prägung zusammenführen und damit Brückenbauer in jede Richtung sein. Das heißt, er muss die Fähigkeit erwerben, in ganz unterschiedlichen Kontexten sozial kompetent zu agieren. Und das muss irgendwo eingeübt werden. Diese Räume schaffen wir im Seminar und auch an der Fakultät.
Die Gemeinschaft hier und in anderen Seminaren wird immer kleiner. Wie sehen Sie die Priesterausbildung in zehn Jahren?
Die Priesterausbildung in zehn Jahren wird hoffentlich an einem einzigen Standort in Deutschland konzentriert. Das heißt, es wird ein zentrales nationales Priesterseminar mit einer größeren, motivierten und engagierten Ausbildungsgemeinschaft geben. Denn es ist absehbar, dass die Zahl der Priesteramtskandidaten weiter zurückgehen wird, so dass sich die immer noch hohe Zahl immer kleiner werdender Priesterseminare einfach nicht mehr halten lässt.
Ärgert Sie die Art und Weise, wie von außen auf den Priesternachwuchs geschaut wird und welche Vorurteile es gibt?
Ja, zum Teil schon. Ich hatte gestern noch ein Gespräch, wo mir gespiegelt wurde, wie konservativ, rückwärtsgewandt und engstirnig junge Priester seien. Das trifft sicherlich auf den einen oder anderen Mitbruder zu. Aber aus solchen Einzelwahrnehmungen sollte man keine pauschalen Schlussfolgerungen ziehen. Wenn ich die jetzt über 35 Neugeweihten in meiner Zeit als Regens sehe, dann würde ich sagen, dass man da sehr, sehr differenzieren muss. Es gibt sicherlich ein deutliches Traditionsbewusstsein mit einer Präferenz für das Klassische. Aber eine in diesem Sinne konservative Haltung muss nicht unbedingt schlecht sein. Wenn ein junger Priester eher bewahrend agiert und dazu noch geistlich und theologisch fundiert unterwegs ist und zudem bereit ist, als Priester auf Augenhöhe mit Haupt- und Ehrenamtlichen vor Ort unterwegs zu sein, dann ist das für mich ein durchaus überzeugender Weg, die priesterliche Berufung zu leben. Wenn wir glauben, dass der Geist Gottes in jedem auf seine Weise wirkt, dann werden wir auch mit unterschiedlichen Profilen von Priestern gut leben können.
Die Studie umfasst den Zeitraum bis 2021. Gibt es bereits neue Trends?
Ich würde sagen, dass es gegenwärtig eine zunehmende Vereinzelung des Nachwuchses gibt. Das heißt, die Seminaristen sind mittlerweile in Kleinstgruppen unterwegs, sowohl hier im Seminar als auch an der Fakultät. Das heißt, jeder Einzelne ist noch mehr auf sich und sein unmittelbares Umfeld zurückgeworfen und bewegt sich dann schnell in einer Blase. Und da nehme ich schon eine deutliche Individualisierung wahr, aus der heraus es schwieriger wird, gemeinsame Nenner zu finden und sozusagen eine „Corporate Identity“ für Diözesanpriester zu entwickeln. Ein zweiter, erfreulicher Trend ist, dass das Miteinander von Seminaristen und Auszubildenden in den anderen Berufsgruppen wie Gemeinde- und Pastoralreferentinnen und -Referenten weiter wächst. Da ist eine ermutigende Art von Solidarisierung auch in geistlicher Hinsicht spürbar.
Vielen Dank für das Gespräch.