Unterschiedliche Begriffe für sich überschneidende Phänomene
„Woran denke ich, wenn ich den Begriff ‚geistlicher Missbrauch‘ höre?“ Mit dieser Frage eröffnet Christian Städter den Nachmittag. Bei Brainstorming und Austausch in Kleingruppen wird den Theologiestudierenden schnell deutlich, dass es sich bei der Thematik um ein weites, unübersichtliches Feld handelt: Machtmissbrauch, psychologischer, psychischer und emotionaler Missbrauch, geistlicher, religiöser und spiritueller Missbrauch, Gewissensmissbrauch – die Bandbreite an Begrifflichkeiten ist groß. Es gibt unterschiedliche Begriffe für sich überschneidende Phänomene. Städter weist darauf hin, dass eins allen Begriffen gemeinsam sei: Die Strategien, die Täterinnen und Täter anwenden, sind meist unsichtbar.
Geistlicher Missbrauch „im Namen Gottes“
Was unterscheidet nun aber den geistlichen Missbrauch, von dem im kirchlichen Kontext die Rede ist, von den anderen Formen des geistigen Missbrauchs? Städter verdeutlicht in seinem anschließenden Impulsvortrag: Während psychologischer, psychischer und emotionaler Missbrauch im Kontext der Familie, des Arbeitsplatzes oder der peer group geschehe, habe geistlicher Missbrauch ein Proprium: Er geschieht im Namen Gottes in einem geistlichen Kontext. Seelsorgerinnen und Seelsorger werden zu Täterinnen und Tätern und verletzen die geistliche Selbstbestimmung der Opfer, das Recht also, über die eigene Spiritualität und Sinnsuche frei zu entscheiden.
Die Liste von typischen Mitteln, mit denen dieser geistliche Missbrauch ausgeübt werde, sei lang. Dazu gehöre vor allem, dass der Täter oder die Täterin sich (subtil) zwischen das Opfer und Gott setze, ihm quasi authentisch den Willen Gottes für das eigene Leben auslege. Der Täter oder die Täterin treffe (direkt oder indirekt) anstelle des Opfers dessen Lebensentscheidungen. Oft werde das Opfer in eine bestimmte geistliche Praxis hineingedrängt und müsse beispielsweise eine bestimmte charismatische Heiligenfigur bis ins letzte imitieren. Geistlicher Missbrauch sei häufig ein subtiler, unsichtbarer Prozess, bei dem das Opfer immer mehr emotional abhängig von der Täterperson werde.