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Holzkreuz wirft Schatten© Black Salmon / shutterstock.com

Die Sensibilität für geistlichen Missbrauch schulen

Angehende Seelsorgerinnen und Seelsorger beschäftigen sich mit Elementen, Dynamiken und Konsequenzen missbräuchlicher Seelsorge

Was ist geistlicher Missbrauch? Eine Frage, die in jüngster Zeit zunehmend das öffentliche Interesse erweckt und zu einem kontrovers diskutierten Thema geworden ist. Wo fängt geistlicher Missbrauch an? Welche psychologischen Implikationen lassen sich ausmachen und vor allem: Welche Konsequenzen hat geistlicher Missbrauch für die Betroffenen und die pastorale Praxis der Kirche? Mit diesen Fragen haben sich Theologiestudierende mit dem Berufsziel Gemeindereferentin/Gemeindereferent oder Pastoralreferentin/Pastoralreferent bei einem Studiennachmittag Anfang März mit Spiritual Christian Städter im Exerzitien- und Bildungshaus Maria Immaculata in Paderborn beschäftigt.

Unterschiedliche Begriffe für sich überschneidende Phänomene

„Woran denke ich, wenn ich den Begriff ‚geistlicher Missbrauch‘ höre?“ Mit dieser Frage eröffnet Christian Städter den Nachmittag. Bei Brainstorming und Austausch in Kleingruppen wird den Theologiestudierenden schnell deutlich, dass es sich bei der Thematik um ein weites, unübersichtliches Feld handelt: Machtmissbrauch, psychologischer, psychischer und emotionaler Missbrauch, geistlicher, religiöser und spiritueller Missbrauch, Gewissensmissbrauch – die Bandbreite an Begrifflichkeiten ist groß. Es gibt unterschiedliche Begriffe für sich überschneidende Phänomene. Städter weist darauf hin, dass eins allen Begriffen gemeinsam sei: Die Strategien, die Täterinnen und Täter anwenden, sind meist unsichtbar.

Geistlicher Missbrauch „im Namen Gottes“

Was unterscheidet nun aber den geistlichen Missbrauch, von dem im kirchlichen Kontext die Rede ist, von den anderen Formen des geistigen Missbrauchs? Städter verdeutlicht in seinem anschließenden Impulsvortrag: Während psychologischer, psychischer und emotionaler Missbrauch im Kontext der Familie, des Arbeitsplatzes oder der peer group geschehe, habe geistlicher Missbrauch ein Proprium: Er geschieht im Namen Gottes in einem geistlichen Kontext. Seelsorgerinnen und Seelsorger werden zu Täterinnen und Tätern und verletzen die geistliche Selbstbestimmung der Opfer, das Recht also, über die eigene Spiritualität und Sinnsuche frei zu entscheiden.

Die Liste von typischen Mitteln, mit denen dieser geistliche Missbrauch ausgeübt werde, sei lang. Dazu gehöre vor allem, dass der Täter oder die Täterin sich (subtil) zwischen das Opfer und Gott setze, ihm quasi authentisch den Willen Gottes für das eigene Leben auslege. Der Täter oder die Täterin treffe (direkt oder indirekt) anstelle des Opfers dessen Lebensentscheidungen. Oft werde das Opfer in eine bestimmte geistliche Praxis hineingedrängt und müsse beispielsweise eine bestimmte charismatische Heiligenfigur bis ins letzte imitieren. Geistlicher Missbrauch sei häufig ein subtiler, unsichtbarer Prozess, bei dem das Opfer immer mehr emotional abhängig von der Täterperson werde.

Das Bild des Schiffs

Geistlicher Missbrauch ist immer eine Form von Machtmissbrauch, aber er ist eben noch viel mehr. Spiritual Städter erläutert das mit dem Bild eines Schiffs: „Machtmissbrauch ist so, wie wenn Piraten auf einmal ein Schiff auf dem Ozean überfallen und den Kapitän zwingen, das Steuer abzugeben. Geistlicher Missbrauch wäre, wenn sich jemand nachts auf die Brücke schleichen würde und die Geräte verändert, der Kapitän morgens aufwacht und das Schiff unbemerkt in die falsche Richtung fährt.“

Die Folgen eines solchen geistlichen Missbrauchs können für die Betroffenen verheerend sein: Sie reichen von negativen Auswirkungen auf die Gottesbeziehung und das Gebetsleben, über Gefühle von Scham, Schuld, Ohnmacht, Unzulänglichkeit, Trauer, Wut und Zorn bis hin zu einem erhöhten Risiko für psychische Erkrankungen. Auch körperliche Auswirkungen und soziale Veränderungen wie Isolation, Rückzug und Vertrauensverlust kämen vor.

Reflektieren und Sensibilisieren als wichtigste Strategien für Prävention von geistlichem Missbrauch

Nach diesem Überblick über die Begrifflichkeiten, Dynamiken und Konsequenzen wird bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vor allem eine Frage laut: Wie begegne ich selbst dem Phänomen des geistlichen Missbrauchs künftig als Seelsorgerin, als Seelsorger in der Pastoral? Wie kann ich in meinem Dienst geistlichem Missbrauch vorbeugen? Städter rät ihnen zum Austausch: „Wenn ich selbst den Eindruck habe, dass etwas nicht stimmt, ist es gut, mit anderen darüber zu sprechen – mit Gleichgesinnten, Freunden und Fachleuten. Reflektieren und Sensibilisieren sind die wichtigsten Strategien für die Prävention von geistlichem Missbrauch.“ Und er fügt für die Selbstreflexion das Kriterium der Freiheit hinzu: „Hat die Person, der ich einen geistlichen Rat gebe, die Freiheit, meine Ratschläge anzunehmen oder abzulehnen?“

Das sind wichtige Hinweise, die Dennis Jandt, Theologiestudent an der Theologischen Fakultät in Paderborn und Mitglied im Bewerberkreis für die Ausbildung zum Pastoralreferenten, für seine künftige Arbeit mitnimmt. Der Studiennachmittag habe ihm geholfen, begriffliche Klarheit über das Thema des geistlichen Missbrauchs zu gewinnen und für die Dynamiken und subtilen Prozesse sensibel zu werden.

Spiritual Städter macht abschließend deutlich: „Es ist kein Thema, das man je ganz verstanden hat. Am Anfang geht es darum, dass man sich einen Überblick verschafft. Das haben wir heute gemacht. Daran gilt es, die eigene Sensibilität zu schulen. Seien Sie sensibel, wenn Sie irgendwo hingehen, welcher Druck dort ausgelöst wird – auch emotional!“

Es war ein Studiennachmittag, der viele Fragen beantwortet aber auch mindestens genauso viele neue Fragen aufgeworfen hat. Denn es ist und bleibt, mit den Worten Städters, „ein absolut kompliziertes Thema, um das ich wissen und mit dessen Dynamiken ich vertraut werden sollte.“ Das gilt für die Seelsorgerinnen und Seelsorger persönlich, aber vor allem auch im Blick auf die Menschen, die ihnen zukünftig in ihrer pastoralen Arbeit anvertraut sein werden.

Ein Beitrag von:

Theresa Oesselke

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