Qualitätskriterium Kompromissfähigkeit
Anfang November haben zwei politische Ereignisse erneut für starke emotionale Diskussionen gesorgt und sie tun es noch: Der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl und die Auflösung der Ampel-Koalition in unserem Land. Beides kam sicher nicht völlig unerwartet. Dennoch hat auch mich die Koinzidenz beider Ereignisse an ein und demselben Tag mit gemischten Gefühlen erfüllt, weil so viele der derzeitigen globalen Krisen damit verknüpft sind.
Was mir wichtig ist, zu betonen: Die US-Präsidentschaftswahlen waren demokratisch. Die Wahlen 2021 in unserem Land, die zur Bildung der Ampel-Regierung geführt haben, waren ebenfalls demokratisch. In einer Demokratie ist das Volk die oberste Staatsgewalt. Die politischen Entscheidungen werden durch den Mehrheitswillen der Bevölkerung getragen. Und das ist der entscheidende Punkt. In unserem Mehr-Parteien-System ist ein wesentliches Qualitätsmerkmal von demokratisch gewählten Koalitionen die Kompromissfähigkeit zum Wohle des Volkes. Dass die Ampel-Koalition beendet wurde, mag man als richtig oder falsch, als gut oder schlecht terminiert befinden: Es ist und bleibt bitter, wenn Regierungen, die sich auf Basis des Volksvotums gebildet haben – oder bilden mussten –, nicht mehr zu Kompromissen in der Lage sind, aus welchen Gründen letztlich auch immer.
In meinen Augen ist es nicht zielführend, sich auf die Frage nach der „Schuld am Scheitern“ zu fokussieren. Die Suche nach Sündenböcken scheint in der öffentlichen Debatte allgemein ein beliebter Mechanismus zu sein. Und das ist vielleicht auch gar nicht so verwunderlich: Schwarz-Weiß-Denken lässt die komplexe Welt für einen Moment einfacher erscheinen – es hilft aber nicht bei der Bewältigung der realen Herausforderungen. Undifferenziertheit heizt vielmehr ein destruktives Meinungsklima in der Bevölkerung an, das zu eben dem führt, wovor wir unsere Gesellschaft und unsere Demokratie schützen müssen: Polarisierung, Gespaltenheit, Kompromisslosigkeit, Egozentrik und letztlich Politikverdrossenheit.